Leandriis, die Wölfin (2008-20??)




Ein Mädchen, ein vergessenes Tal und ein uraltes Geheimnis

Leandriis, die Wölfin (2008-20??)

Beitragvon viivi » So 28. Dez 2008, 21:31

Ein kleines Mädchen wird ausgesetzt am Waldrand gefunden, von ihr geht eine unheimliche Aura aus. Dieses Mädchen, welches die Gestalt einer Wölfin annehmen kann, trägt ein tiefes Geheimnis in sich, dass der letzten Wölfe und des mythischen Tales, das tief im Wald liegt und kaum ein Mensch jemals zu Gesicht bekommen hat.
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von Anzeige » So 28. Dez 2008, 21:31

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Re: Leandriis, die Wölfin

Beitragvon viivi » So 28. Dez 2008, 21:33

Prolog

Nacht. Stille. Regen. Kälte. Dunkelheit.
Sie war alleine, ganz alleine. Nur eingewickelt in eine braune, zerschlissene Decke fror sie in der Kälte dieser mondlosen Nacht.
Zurückgelassen am Waldrand, ohne Notiz, ohne mehr als ihre Decke.
Allein. Einsam. Auf sich allein gestellt.
Bis auf den Wolf. Nicht weit von ihr entfernt stand er, ein großer, grauer Wolf, mit Narben übersäht, eine davon quer über die Schnauze. Seine kalten, grauen Augen waren auf das kleine, hilflose Kind gerichtet. Tief sog er die Luft ein, die Nase in den Wind haltend.
Ein letztes Mal sah er sie an, dann hob er die Schnauze, reckte sie weit in die Luft und fing an zu heulen, bat um Vergebung, bevor er sie ihrem eigenem Schicksal überließ. Dann verschwand er lautlos im Wald, auf leisen Sohlen und ließ das Mädchen alleine im Wald zurück.
Das Kind blieb still, nicht ein Laut kam über seine Lippen und als es die Augen öffnete, schien die Welt stehen zu bleiben. Diese grünen Augen, voller Schönheit und Klugheit dieser Welt.
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Re: Leandriis, die Wölfin

Beitragvon viivi » So 28. Dez 2008, 21:40

Kapitel 1 - Grüne Augen

Es regnete. Blitze erhellten im Sekundentakt die Nacht und lautes Donnergrollen folgte.
Lea, eigentlich Leandriis, stand mitten im Regen. Nur langsam näherte sie sich dem Haus, welches ihr Zuflucht vor dem Regen bieten würde. In der Tür wartete bereits ihre Pflegemutter und winkte ihr ungeduldig und bereits leicht panisch zu. Lea beschleunigte ihre Schritte und rannte schließlich fast aufs Haus zu.
“Na endlich”, in der Stimme ihrer Pflegemutter klang wahre Besorgnis mit. Lea erwiderte nichts, was nichts Neues war. Sie sprach selten, nicht, weil sie es nicht gekonnte hätte, sondern weil sie es so wollte. Seit jeher war die dreizehnjährige Lea mit ihren langen, dunkelbraunen Haaren und den grünen Augen ein hübsches, jedoch auch sehr eigensinniges Mädchen gewesen.
Die Menschen hatten Angst vor ihr, nun ja, nicht direkt Angst, aber sie fühlten sich in ihrer Nähe unwohl. Vor allem die Dorfältesten munkelten, von Lea ginge etwas Uraltes aus, eine Aura etwas längst Vergangenem und Dunklen. Lea selbst war dies alles egal. Sie wusste, dass sie anders war, dass sie nicht dazugehörte, dass sie nicht hier hingehörte. Sie spürte es tief in sich.
“Komm endlich rein und zieh die nassen Sachen aus”, ihre Pflegemutter wurde langsam ruppig. Sie griff ihre Tochter am Arm und zog sie in den warmen Hausflur. Das alte Haus roch nach Harz und den allgegenwärtigen Gerüchen aus der großen Küche. Lea ging langsam durch den Flur und sog genüsslich die Düfte ein. Sie betrat ihren eigenen Raum, der unter dem Dach des Fachwerkhauses lag und öffnete weit das Fenster und ließ sich die kühle Luft um die Nase wehen.
Ein leises Jaulen heulte ihr aus weiter Ferne entgegen. Mit einem Lächeln nahm sie es zur Kenntnis und schloss die Augen. Sie spürte, wie der Wolf in ihr reagierte. Er drängte nach draußen und ein tiefes Grollen kam aus ihrer Kehle.
Nein, noch nicht.
Abrupt öffnete sie die Augen und sah im Dunkeln vor dem Haus einen großen grauen Wolf sitzen. Nein, sie sah ihn nicht wirklich. Viel eher spürte sie ihn, wusste einfach instinktiv, dass er da war. Der Wolf in ihr begehrte zwar noch einmal auf, aber sie brachte ihn sofort wieder unter Kontrolle.
Ja, so ist es gut, Leandriis, ich werde wiederkommen, wenn es soweit ist.
Damit verschwand der graue Wolf im Wald und nichts zeugte mehr von seiner Anwesenheit. Der Platz vor dem Haus war vollkommen verlassen und nur einige einzelne Blätter wirbelte der Wind über den aufgeweichten Boden. Lea indes lächelte verträumt. Sie, sie war eine Drak, sprich sie konnte die Gestalt eines Menschen oder die eines Wolfes annehmen und dessen war sie sich nur zu bewusst.

Sie hatte sich verlaufen. Sie hatte Angst. Ihr war kalt. Sie zitterte und bebend rieben ihre Zähne auf einander. Die Dunkelheit um sie herum war undurchdringlich. Nirgends war Licht, nicht einmal Sterne prangten am Horizont. Der Mond wurde von dunklen Wolken bedeckt. Wind spielte mit den Blättern. Gaukelten ihr Geräusche vor die nicht da waren. Bedrohliche Schatten jagten ihr Angst ein. Knackende Äste verrieten nichts Gutes. Nebel waberte wie eine undurchdringliche Masse über den Boden. Doch etwas wies ihr den Weg. Wie ein inneres Gefühl leitete es sie durch den dichten, düsteren Wald. Ihre Augen waren wachsam und langsam verging die Angst. Ein Gefühl von Ruhe und Neugierde entstand in ihr. Auch als sie die ersten Wölfe bemerkte, blieb sie vollkommen ruhig. Sie fühlte sich im Gegenteil eher geboren in der Nähe der großen Tiere. Und es wurden immer mehr. Sie erschienen an ihrer Seite und nahmen sie in die Mitte. Sie hatte keine Angst mehr. Auch nicht, als sie sich Aug in Aug mit einem riesigen grauen Wolf fand. Eine lange Narbe zog sich quer über seine Schnauze. Vorsichtig stupste er sie mit seiner kalten, feuchten Nase an. Sie hob die Hand und berührte sanft sein weiches Fell. Mit den Händen kraulte sie seine Ohren.
“Leandriis, mein Mädchen.” Der Wolf sprach nicht mit ihr. Es war eher so, dass sich die Worte in ihren Gedanken bildeten. Mit ihren wachen grünen Augen sah sie ihn an.
“Wer seit ihr?” Wie die Wölfe zuvor, sprach auch Lea die Worte nicht aus.
“Wir sind das, was man Drak nennt.” “Drak?”, fragte Lea verwundert nach, während ihre Hände unablässig durch das weiche Fell glitten. “Ja”, er stupste Lea an. “Das sind Wesen die sich in der Gestalt eines Menschen oder eines Wolfes bewegen können.” “Wie Werwölfe?”, fragte das Mädchen zaghaft. “Nein, jedenfalls nicht so, wie du dir das vorstellst.” Lea legte ihren Kopf leicht schief und sah den Wolf aus ihren grünen Augen fragend an. “Komm, ich erkläre es dir.” Der Wolf ließ es zu, dass sich Lea in sein Fell kuschelte.
“Werwölfe sind an bestimmte Gegebenheiten gebunden, das heißt, sie können sich nur in einigen Momenten in einen Wolf verwandeln. Wir dagegen können uns aussuchen, ob wir gerade Mensch oder Wolf sein wollen.”
Mit staunenden Augen sah ihn das kleine, gerade mal fünfjährige Mädchen an. “Kann ich das auch?” Der große Wolf lächelte auf wölfische Art. “Ja, Leandriis, das kannst du auch.” “Wie?” “Noch nicht Leandriis, noch nicht.” “Warum?”, das Mädchen ließ nicht locker. “Die Zeit ist noch nicht gekommen. Bald, bald wirst du erfahren, wie und zu welchem Zweck es geschehen wird.” Lea blickte ihn mit großen Augen an.
“Komm, mein kleines Mädchen”, lenkte der Wolf ab: “Es ist Zeit zum Schlafen...” Leandriis schloss zögernd ihre Augen, diese wunderschönen grünen Augen.
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Re: Leandriis, die Wölfin

Beitragvon viivi » Do 1. Jan 2009, 21:20

Kapitel 2 - Tränen des Mondes

Sie schrak aus dem Schlaf. Ihr Atem ging unruhig und ihr war kalt. Zitternd schlugen ihre Zähne aufeinander. In ihr rumorte es. Dieser Traum, immer wieder dieser Traum. Sie hatte ihn das erste Mal mit fünf Jahren gehabt. Vorher hatte sie nie geträumt. Nicht gewusst, was das eigentlich war, träumen. Natürlich hatte sie von anderen gehört, was Träume waren, aber sie hatte sich nichts darunter vorstellen können und sie hatten nicht gefragt. Dann hatte sie das erste Mal geträumt, nein, nicht geträumt. Lea war sich sicher gewesen, dass erste Mal in ihrem Leben geträumt zu haben, aber da war noch mehr gewesen. Etwas, das nicht gestimmt hatte. Sie war nicht nass geschwitzt gewesen, wie ihre Pflegemutter es oft war. Aber ihre Beine waren nass, nass von Regenwasser und Tau. Sie konnte es riechen, wusste einfach, dass dies kein Schweiß war. Etwas, dass nicht in ihr Bett gehörte. Genauso wie der Dreck. Leas Füßen waren mit feuchten, lehmigem Erdboden bedeckt gewesen. An ihrem Nachthemd hatten kurze, graue Haare gehangen. Solche, wie sie Hunde verlieren. Oder eben ein Wolf. Lea war klar, dass es kein Traum gewesen sein konnte. Zu scharf waren die Erinnerungen, zu genau für einfache Traumbilder. Sie hatte niemandem etwas davon erzählt, auch nicht ihren Pflegeeltern, als ihre Mutter sie wegen der dreckigen Bettwäsche angefahren hatte. Lea schwieg, wie sie es so oft tat. Nach diesem Erlebnis träumte sie oft davon. Manchmal nur einmal im Jahr, manchmal jede Woche und eher seltener mehrmals die Nacht. Seit nun bereits acht Jahren, allerdings war es dann immer nur ein Traum gewesen, ein einfacher Traum. Dessen war sie sich sicher, sie wusste es einfach, ganz instinktiv.
Vorsichtig schlug Lea die Bettdecke zur Seite und schwang die Beine aus dem warmen Bett. Nur mit ihrem Nachthemd bekleidet fror sie in der kühlen Nachtluft. Vollkommen unterbewusst wünschte sie sich ein warmes Fell und musste sogleich gegen ihren eigenen Willen ankämpfen, um nicht ihr Innerstes zu entfesseln. Kurz drohte sie den Kampf zu verlieren, aber dann gelang es ihr doch noch den Wolf in ihr zurückzudrängen.
Gut Leandriis, gut.
Sie lächelte und ihre Eckzähne blitzten kurz hervor. Eckzähne, die nur minimal länger waren als die eines normalen Menschen, aber doch so lang, um den ein oder anderen schiefen Blick auf sich zu ziehen. Denn die althergebrachten Legenden von Vampiren und Werwölfen waren den Menschen in Fleisch und Blut übergegangen. Doch Lea wusste, was sie war; sie war weder Vampir noch Werwolf, sie war etwas völlig anderes. Sie war eine Drak. Sie wusste, was und wer sie war. Denn auch Leandriis war nicht der Name, der ihr von den Menschen gegeben worden war, diesen Namen hatten ihr einst die Wölfe gegeben. Am Anfang hatten die Menschen noch versucht, sie umzutaufen. War Leandriis doch schließlich einer der alten, unheimlichen Namen, der aus einer tiefen und dunklen Legende stammte. Fayla, das war der Name, den die Menschen für sie hatten benutzen wollen. Doch Lea nutzte diesen Namen nie. Sie hatte nie auf diesen Namen reagiert und am Ende hatten die Menschen aufgegeben und sie auf die Kurzform Lea getauft. Dieser Name war nicht so abscheulich und mysteriös wie Leandriis. Und Lea hörte auf diesen Namen, wenn ihn jemand aussprach. Nur wenige Leute redeten je mit Lea, und auch Lea selbst sprach selten jemand an. Die Menschen gingen ihr aus dem Weg. Kurze Blicke streiften sie, wurden jedoch sofort wieder abgewandt, wenn sie ihrerseits zurücksah. Tuscheln, das konnten die Leute. Immer wenn sie sicher waren, dass Lea sie nicht mehr hören konnte, fingen sie an zu reden. Redeten schlecht über sie, zogen über sie her. “Dämonenmädchen, Teufelskind” und andere Bezeichnungen säumen ihren Weg. Und dies waren noch nicht einmal die schlimmsten Bemerkungen. Am Anfang hatte sie es noch verletzt, weil sie nicht anders als die anderen hatte sein wollen. Und dann war der Traum gekommen, der Lea gezeigt hatte, was und wer sie wirklich war. Danach war ihr egal gewesen, was andere über sie sagten und dachten. Lea lebte für sich in ihrer eigenen Welt. Sie war nicht auf die Gesellschaft der Menschen angewiesen, die sie nicht mochten. Die wenigen Menschen, die Lea kannte und die ihr freundlich gesinnt waren, sah sie nur selten.
Wie das kleine Mädchen, welches immer ein kleines Mädchen bleiben wird, dachte Lea. Sie hatte ähnliche Probleme wie Leandriis selbst, weil sie nicht normal war. Saroyan, so ihr Name, war süß, wie eine kleine Puppe. Lange, gewellte blonde Haare umrandeten ihr zierliches Gesicht, tiefblaue Augen leuchteten auf heller Haut die wie Porzellan schimmerte. Saroyan wurde von ihrer Mutter abgöttisch geliebt und wie eine zerbrechliche Glasfigur behandelt. In Saroyan hatte Lea für kurze Zeit eine Gleichgesinnte gefunden, da die Dorfbewohner das kleine Mädchen genauso abschätzig behandelten wie sie. Doch bald schon hatte Saroyans Mutter ihr den Umgang mit dem Mädchen verboten. Sie wachte nun mit Argusaugen über ihre Tochter und ließ niemanden an sie heran. Lea schon gar nicht, dieses Dämonenmädchen.
Und dann war da ja noch der alte Mann, der in einer kleinen Holzhütte mitten im Wald lebte. Niemand wusste, wie alt dieser Mann wirklich war. In jedermanns Erinnerung war er schon immer da gewesen. Er musste uralt sein. Noch jemand, den die Dorfbewohner fürchteten. Er kam nur selten ins Dorf und kaufte Lebensmittel und andere lebensnotwendige Dinge ein, um dann wieder für ein ganzes Jahr im Wald in seiner Hütte zu verschwinden. Niemand hatte je seine Hütte betreten, niemand außer Lea. Sie war der einzige Gast, den die Kate je beherbergt hatte. Sie war größer, als es von draußen den Anschein hatte. Sauber, reinlich und ordentlich. Keine unnötigen Dinge standen herum. Der Wohnraum enthielt nur einen Kamin, einen großen Sessel und ein schmales Bett. Das Einzige was hier verschwenderisch wirkte, war ein riesiges, mehrstöckiges Regal, randvoll mit Büchern beladen. “Bücher sind Früchte des Geistes, sie hauchen dem Raum Seele ein”, pflegte der Alte zu sagen.
Von ihm hatte Lea in einsamen Stunden lesen und schreiben gelernt. Und auch das Zählen sowie viele andere Dinge. Dinge, die ein einfaches Bauernmädchen, als das sie aufwuchs, niemals gelernt hätte. Doch dieser Mann lehrte Lea Dinge, die für sie schier unglaublich waren. Als Drak war sie mit einer gewissen Grundintelligenz zur Welt gekommen, aber so etwas hatte sie noch nie gesehen. Er war auch der Einzige, der sie Leandriis nannte. Nicht Lea und auch nicht irgendwie anders, sondern einfach nur Leandriis. Er hatte eine unglaubliche Geduld mit ihr und wurde nie böse oder schrie sie an. Lea fühlte sich bei ihm wohl. Nur ihre Pflegeeltern mochten es nicht, wenn sie sich bei “dem alten Kauz” herumtrieb, wie sie es ausdrückten.
Einen Namen hatte der alte Mann nicht. Und wenn doch, dann kannte ihn niemand. Nicht einmal Lea wusste, wie er hieß.
Doch Lea setzte sich immer über die zahlreichen Ermahnungen hinweg und entschwand für mehrere Stunden im Wald. Meist kam sie dann erst spät am Abend wieder. Jedes Mal musste sie dann die gleiche Standpauke über sich ergehen lassen und jedes Mal hörte sie nicht zu. Unbeweglich stand sie da. Sagte kein Wort. Blickte nur starr geradeaus. Wartete. Wartete, bis es vorbei war. Dann ging sie in ihr Zimmer und dachte über das Gelernte nach. Meistens kam dann ihre Pflegemutter nach oben, brachte ihr Essen und entschuldigte sich „für die harten Worte von eben“. Lea nickte meist nur kurz und sah die Verletztheit der Frau, von der sie abgöttisch geliebt wurde, und fühlte sich schuldig. Schuldig dafür, dass sie sie nicht so lieben konnte, wie es umgekehrt der Fall war. Dafür, dass sie nicht die Tochter war, die ihre Pflegemutter gerne hätte. Doch dieses Gefühl verflog. Verflog genauso schnell wieder wie es gekommen war. Lea konnte, wollte sich nicht verstellen. Für niemanden auf der Welt. Lea waren solche Gedanken fremd...
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Re: Leandriis, die Wölfin

Beitragvon viivi » Do 1. Jan 2009, 21:21

Kapitel 3 - Die Legende von Leandriis

Dunkel war es, wie immer. Der Wind pfiff durch die leere Ruine im Wald. Eine junge Frau stand mitten im Trümmerhaufen. Lange, dunkle Haare verhüllten ihr Gesicht. Das kurze Kleid wehte um ihren zierlichen Körper. Grüne Augen blitzten aus ihrem Gesicht hervor. Langsam blickte sie sich um. Sah ihm direkt in die Augen. Vor Angst konnte er sich nicht mehr rühren. Seine Beine versagten ihm den Dienst. Stöhnend sank er auf die Knie. Schmerz explodierte in seinem Kopf. Grauenhafte Bilder fanden sich plötzlich in ihm. Bilder voller Gewalt. Angst. Schmerz. Blut. Tod.
Und sie war mitten drin. Hatte ihren Anteil am Verderben. Doch er konnte sie dafür nicht hassen. Etwas hinderte ihn daran. Etwas Uraltes. Eine der schwärzesten Magien der Welt: die leuchtende Macht der Liebe. Er sah die grausamen Dinge, die sie tat. Spürte den Schmerz, den sie über die Menschen brachte. Doch er konnte sie dafür nicht hassen. Nicht verurteilen. Seine Liebe war zu stark. Dabei war er der Einzige, der sie stoppen konnte. Er war der einzige Schwachpunkt, den sie hatte. Ausgerechnet er.

Ihre Geschichte begann bereits so tragisch...


Mit nackten Füßen lief sie durch die staubigen Straßen der Stadt. Sie war ein Straßenkind, wie tausend andere auch, aber dennoch war sie anders. Sie konnte alles haben, was sie wollte, da sie in den Menschen Sehnsüchte weckte, die sie lähmten und geradezu ihren Verstand zerfetzten. Dies nutzte sie und wurde zu etwas, das nie hätte geboren werden dürfen. Sie war traumhaft schön und doch gleichzeitig im Inneren verdorben und zerfressen.
Ihre Mutter war bereits kurz nach ihrer Geburt gestorben und hatte ihrer Tochter ein mächtiges Erbe hinterlassen, welches sie fast getötet hätte. Doch sie war stark, stärker als das Dunkle in ihr, den Vampyr in ihr. Einen Vater hatte sie nie gekannt. Sie war von fremden Menschen aufgezogen worden, die für sie wie eine Familie gewesen waren. Doch lange hatte diese Idylle nicht gehalten. Als sie gerade mal fünf Jahre alt gewesen war, hatten Diebe und Mörder die kleine Familie überfallen und alle getötet. Alle außer Leandriis. Sie hatte alles mit an gesehen. Hatte die Schmerzen gespürt, die sie gespürt hatten. Aber sie hatte nicht geschrieen, hatte nicht einen Ton von sich gegeben. Hatte einfach nur da gesessen und zugesehen. Während etwas in ihr gewachsen war. Die Bestie, die schon immer in ihr gelauert, sich aber nie gezeigt hatte. Nun verdrängte es die Leandriis, die bisher gelebt hatte. Die Leandriis, die ihn dem Moment starb, wo ihre gesamte Familie ausgerottet wurde.
Der Schmerz in ihr wurde zu Hass. Und dieser Hass in ihr entfesselte die Bestie. Mit einem unmenschlichen Schrei stürzte sie sich auf die Männer und zerfetzte sie ohne einmal innezuhalten. Erst als alle tot waren, ließ sie sich auf die Hinterbeine nieder und hockte da. Sich hin und her wiegend, summte sie mit geschlossenen Augen vor sich hin. In diesem Moment übernahm die dunkle Seite die Oberhand über ihren Körper und ihren Verstand.
Mit einem Ruck öffnete sie die Augen. Sie glichen jetzt eher denen einer Katze, als denen eines Menschen.
Seit diesem Tage streifte sie ruhelos durch die Welt. Ging von Stadt zu Stadt und brachte Dunkelheit und Unruhe über die Menschen. Sie verführte die Menschen mit ihrer Schönheit und brachte des Nachts ihre dunkle Seite zum Vorschein. Niemand folgte ihr auf ihren nächtlichen Beutezügen und niemand konnte ihr Herr werden. Sie glich einer Krankheit, die sich über das Land ausbreitete und das Blut der Menschen verseuchte.
Nur einer konnte ihr widerstehen. Er hatte ebenfalls den Überfall vor mehreren Jahren überlebt, und folgte seitdem Leandriis überall hin. Immer an ihrer Seite streifte er mit ihr durch die Lande und musste ohnmächtig mit ansehen, welche Schmerzen sie über die Menschen brachte. Er wusste, dass er sie aufhalten musste, aber er konnte es nicht. Sie war die einzige Familie, die er noch kannte, die einzige Erinnerung an eine glücklichere Vergangenheit. Trotzdem konnte er sie nicht leben lassen und dies wusste er nur zu gut. Zu oft hatte er schon versucht sie daran zu hindern, ihre nächtlichen Beutezüge zu unternehmen, aber jedes Mal war er kläglich gescheitert. Er konnte von Glück reden, dass er noch lebte.
Von dem Glück, dass Leandriis Gefühle für ihn hatte, die sie hinderten, ihn zu töten. Voller Grauen erinnerte er sich an ihre Augen nach dem Überfall, völlig kalt und gefühllos, ohne erkennen und leben. Wie hatte er sie geliebt, davor. Noch immer liebte er sie, aber anders als zuvor und er wusste, dass etwas passieren musste.
Sie waren alleine, alleine im Wald. Überraschte stellte er fest, wohin sie ihn geführt hatte. Eine alte, abgebrannte Ruine stand im Wald und leise rauschte der Wind durch die Trümmer. Seine Beine zitterten vor Unruhe, seine Augen waren vor Angst dunkel. Eisig kalter Wind durchfuhr ihn und ließ ihn frösteln.
Er erblickte sie in den Trümmern hockend, ihre langen Haare wehten im Wind.
„Leandriis“, flüsterte er leise. Sie hob mit einem Ruck den Kopf und sah ihn an. Ihre Augen jagten ihm Schauer über den Rücken und wiederholt fragte er sich, was aus ihr geworden war. Aus diesem kleinen, süßen Mädchen, dem er seine Liebe geschenkt hatte. Langsam kam sie auf ihn zu, lähmte ihn, lähmte seinen Verstand...

An mehr konnte er sich nicht erinnern. Als er wieder erwachte, lag er zitternd und mit zerfetzten Kleidern auf dem feuchten Laubboden. Unweit von ihm entfernt, lag der tote Körper Leandriis´. Überrascht registrierte er, dass sie mit einem Lächeln auf den Lippen gestorben war. Der Boden um sie herum hatte sich schwarz verfärbt.
Er sah sie an und fing an zu weinen. Er weinte um das Mädchen, das er schon etliche Jahre zuvor verloren hatte, aber erst jetzt konnte er seine Trauer zeigen. Noch Stunden saß er neben ihrer Leiche und weinte, während er sich leicht hin und her wiegte.
Irgendwann, es war schon lange dunkel geworden und der nächste Morgen dämmerte bereits, stand er auf und ging.
Von diesem Tag an streifte er alleine durch die Welt und hatte sich schließlich fernab von jeglicher Zivilisation in einer einsamen Hütte im Wald niedergelassen. Dort lebte er seitdem und verließ nur selten den schützenden Wald.
Er hatte Leandriis nie vergessen und hatte sich in seiner Einsamkeit selbst zerfressen und hatte die Bestie in sich genährt, bis er die kleine Leandriis kennen gelernt hatte. Sie erinnerte ihn auf schmerzlichste Weise an das Mädchen, das er so sehr geliebt hatte. Ohne darüber nachzudenken, nahm er die Kleine als Schülerin und lehrte sie auf seine Weise mit der Bestie in sich umzugehen, so wie er es selber tat, denn Leandriis hatte etwas in ihm zurückgelassen, das er nicht mehr loslassen konnte.
Leandriis, wie ein einziges Wort so viel Schmerz, so viel Sehnsucht ausdrücken konnte...
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Re: Leandriis, die Wölfin

Beitragvon viivi » Do 1. Jan 2009, 21:22

Kapitel 4 - Wind der Sterblichkeit

Etwas mischte sich mit dem Nachtwind. Lea, die völlig in Gedanken versunken war, wurde schlagartig wach und sog prüfend die Luft ein. Rauch! Eindeutig! Rauch und der Geruch von Feuer lag in der Luft. Angestrengt beobachtete sie die Nacht und in der Ferne konnte sie den schwachen Schein von Feuer wahrnehmen. Schmerzhaft gruben sich ihre Fingerkuppen in den harten Holzrahmen ihres Fensters.
„Lea“, flüsterte jemand hinter ihr. Abrupt drehte sie sich um und ihre Augen weiteten sich vor Überraschung.
„Saroyan“, murmelte sie leise. Das kleine Mädchen lächelte unschuldig. Sie hatte sich verändert, Lea fiel es sofort auf. Ihre Augen, es waren vor allem ihre Augen. Sie glänzten vor Lebensfreude und waren nicht mehr so leer und gefühllos wie früher. Überhaupt hatte sie sich verändert. Die Klugheit und Intelligenz in ihren Augen war neu, aber auch sonst wirkte das Mädchen anders, reifer.
„Komm her, Lea. Leandriis“, ihre Stimme klang so erwachsen. „Was, was ist mit dir geschehen“, flüsterte Lea erneut. „Ach, Lea, du weißt so wenig.“ Saroyan lächelte nachsichtig. Nichts war mehr von dem kleinen, behinderten und zurückgebliebenen Mädchen geblieben. Stattdessen stand eine junge, selbstbewusste Frau vor ihr; allerdings in dem Körper eines Kindes.
„Was Saroyan, was weiß ich nicht?“
Währenddessen hatte man auch im Haus das Feuer bemerkt und überall waren hastende Schritte und Stimmengewirr zu hören.
„Geh Leandriis, geh. Dies ist nicht deine Geschichte. Dir ist etwas anderes vorherbestimmt worden. Geh Leandriis, dies hier ist nicht deine Welt.“ Damit drehte sich Saroyan um und verschwand. Lea blickte ihr ratlos und verwirrt hinterher, als jemand ihre Tür aufriss.
„Schnell Lea. Wach auf.“ Überrascht registrierte Leas Pflegemutter, dass ihre Tochter am Fenster stand und sie ratlos und entgeistert musterte und vor allem bereits wach war.
„Alles in Ordnung, Lea“, fragte sie besorgt. Lea nickte nur kurz und angespannt und genau in diesem Moment splitterte es lautstark über ihr. Einer der Dachbalken war zerbrochen und neigte sich gefährlich nach unten. Überall um sie herum konnte sie das Knacken und Knistern des Feuers wahrnehmen und in der Ferne konnte sie schwaches Wolfsgeheul ausmachen.
„Lea“, ein ersticktes Flüstern riss sie aus ihren Überlegungen. Entsetzt schnappte Lea nach Luft. Ein Teil des Dachbalkens hatte sich gelöst und war heruntergestürzt, halb darunter vergraben lag Leas Pflegemutter in ihrem eigenen Blut.
„Mutter“, Lea stürzte auf sie zu und rutschte auf die Knie. „Mutter“, wiederholte sie ihre Worte. „Bitte Lea, geh.“ „Aber...“ „Du kannst nicht hier bleiben, wenn du bei mir bleibst stirbst du auch.“ „Aber“, versuchte es Lea ein weiteres Mal. „Geh Lea..ndriis, geh.“ Lea starrte sie entsetzt und traurig an und dieser Schmerz war nicht gespielt. Sie hatte immer gedacht, ihre Pflegemutter wäre ihr gleichgültig, aber dem war nicht so. Gehetzt sah sie sich um. Suchte nach einer Möglichkeit, ihrer beider Leben zu retten.
„Du kannst mir nicht mehr helfen, Lea geh endlich.“ Lea sah wie die Kraft ihrer Mutter erlosch. Sie schloss die Augen und dachte kurz nach. Dann schlug sie zu. Von ihren weißen Reißzähnen rann frisches, rotes Blut. Ihre Mutter lag tot am Boden, nur zwei kleine Bissspuren zeugten von Leandriis´ Tat und bald würde nur noch Asche übrig sein.
Taumelnd erhob sich Lea und kämpfte sich langsam zum Ausgang vor. In der Tür erschien der alter Mann.
„Leandriis“, sie konnte seine Worte nur erahnen, der tosende Lärm um sie herum übertönte alle anderen Geräusche. Er schien völlig unbeteiligt an allem zu sein. Ohne auch nur einmal das Gesicht zu verziehen, kam er Schritt für Schritt Lea entgegen. Bei ihr angekommen, legte er schützend seinen Mantel um ihre Schultern und bugsierte sie zum rettenden Ausgang. Qualvoll hustend trat sie hinaus in die frische Luft und sog sie gierig in ihre Lungen.
„Danke“, flüsterte sie heiser, bevor sie in seinen Armen zusammenbrach.
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Re: Leandriis, die Wölfin

Beitragvon viivi » Do 1. Jan 2009, 21:25

Kapitel 5 - Wahnsinn, der sein Herz zerriss

„Hm“, stöhnend schlug sie die Augen auf. Sie fand sich in einem weichen, weißen Bett wieder, welches herrlich nach einem ihr bekannten und doch nicht identifizierbaren Duft roch.
„Na, wieder wach?“. Lea wandte sich nach dem Fragenden um und erblickte neben sich den alten Mann aus der Waldhütte vor sich. Ohne eine Antwort zu geben, sah sie sich in dem Raum genauer um. Er war ziemlich klein und das Bett, in dem sie lag, nahm fast den gesamten Platz ein.
„Leandriis, sieh mich an“, flüsterte der Greis neben ihr leise. Lea wandte sich zu ihm um und erschrak. Er sah alt aus denn jäh; die grauen Augen sahen sie trüb an und seine Haut war fahl und faltig.
„Ja Leandriis, meine Zeit wird bald kommen. Erschrick´ bitte nicht, irgendwann muss selbst meine Zeit einmal kommen. Ich habe schon viel zu lange gelebt.“ „Wie lange?“, fragte das Mädchen unverblümt. Mit einem Lächeln verzieh er ihr diese Frage, die ihm tief ins Fleisch schnitt.
„Solange, dass ich selbst nicht mehr weiß, wie lange dies nun ist.“ „Aber wie lange muss man denn leben, um zu vergessen, wie lange man schon lebt?“ „Dies Leandriis, ist eine gute Frage und ich denke, dass sie nur ein jeder für sich selbst beantworten kann.“ Lea nickte beflissen.
„Aber dies ist nicht der Grund, warum du hier bist.“ Lea sah ihn fragend an. Mit diesen grünen Augen. Diese Augen hatte auch sie damals gehabt. Mit einem Ruck schüttelte er diese Gedanken ab und richtete seine Aufmerksamkeit wieder dem Mädchen vor ihm zu. Sie war die Gegenwart und die Zukunft, er musste die Vergangenheit vergessen.
„Warum bin ich hier?“, wollte sie prompt wissen.
„Das Leandriis, wirst du erfahren, aber noch nicht jetzt. Schlaf, dann wirst du alles Wichtige erfahren.“ Damit wandte sich der alte Mann ab und verließ den Raum. Lea wollte nicht schlafen, aber die Müdigkeit überrannte sie mit einer Macht, gegen die sie sich nicht wehren konnte.

Sie träumte. Doch der Traum war so unglaublich real. Sie spürte den Regen auf der Haut. Roch die feuchte Luft. Sogar die Hitze des Feuers konnte sie spüren. Alleine stand sie da. In der Ferne konnte sie eine Frau mit langen, dunklen Haaren ausmachen und einen jungen Mann mit strohblonden Haaren. Die Luft um die Frau herum schien vor Elektrizität zu knistern. Der Mann stand vor ihr, sah sie wie hypnotisiert an. Seine Finger zitterten und sie sah den schlanken Dolch in seinen Händen. Er bewegte den Mund, Nur schwer konnte Lea die Worte verstehen. Vorsichtig näherte sie sich den beiden.
„Warum gehst du soviel Risiko ein, um mich, um dieses Mädchen, zu retten?“, in ihrer Stimme lag ein gehässiger Unterton und Spott spiegelte sich in ihren Augen. „Weißt du es wirklich nicht?“, seine Stimme klang so unglaublich sanft. In ihren Augen blitzte es kurz auf. „Du würdest für sie sterben?“ „Nein, nicht für sie, für dich.“ In ihren Augen änderte sich etwas. Sanft wurden sie. Und er sah für einen kurzen Moment die kleine Leandriis. Die Leandriis von früher, die er so sehr geliebt hatte.
„Rette mich“, flüsterte sie leise. Bewegungslos stand er noch einige Momente da, dann nutzte er seine Chance, die letzte Chance.
Mit einem Lächeln starb Leandriis in seinen Armen, aber es war noch nicht vorbei. Ein Kraftstrom umfloss ihrer beider Körper. Keuchend stöhnte er auf. Hatte das Gefühl in diesem Moment sterben zu müssen. All die Dunkelheit, die in Leandriis gewesen war, strömte nun in ihn. Er spürte ihre Qualen. Spürte ihre Einsamkeit. Den Schmerz, der sie all die Jahre begleitet hatte und nur vom Hass verdrängt worden war. Er kämpfte, aber er drohte den Kampf zu verlieren. Die Bestie in ihm, die in den letzten Jahren gewachsen war, reagierte. Fauchend fuhr sie die Krallen aus und schlug ihre Zähne in seine Seele. Schreiend sank er zu Boden. Wild um sich schlagend, zeriss er mit Klauen seine Sachen und fügte sich selbst blutige Schrammen zu. Doch genau diesen Schmerz brauchte er. Brauchte den Schmerz, um nicht den Verstand zu verlieren. Um nicht hier und jetzt zu sterben. Er kämpfte hart und doch verließ ihn für wenige Momente die Hoffnung.
„Gib nicht auf, Cassian, gib nicht auf.“ Die Stimme war einfach in seinem Kopf erschienen. Leandriis, dachte er, dann mobilisierte er seine letzten Kräfte. Mit einem letzten Aufbäumen zog sich die Bestie in ihr dunkles Gefängnis, tief in seiner Seele, zurück. Aufkeuchend stieß er den Atem aus, den er unbewusst angehalten hatte. Dann ließ er sich in der Dunkelheit, die ihn sanft umhüllte, davon treiben.


Sie schlug die Augen auf, um sie herum war alles still. Instinktiv spürte sie, dass es Nacht war. Jemand blickte sie an.
„Cassian“, flüsterte sie. „Ja, Leandriis, dies ist mein Name, mein wahrer Name.“ Seine grauen Augen schienen tief in ihre Seele zu blicken.
Draußen splitterte etwas. Erschrocken zuckte sie zusammen. Cassian schien ganz ruhig, nur in seinen Augen flackerte kurz so etwas wie Furcht auf.
„Was geht hier vor, Cassian? Sprich mit mir“, Lea spürte das erste Mal wirkliche Angst in ihrem Leben. Wiederholt splitterte etwas und Lea blickte sich furchtsam um.
„Hab keine Angst Lea, dort draußen ist nichts, wovor du dich fürchten müsstest.“ Lea sah sich gehetzt um. „Leandriis“, Cassians Stimme hatte einen eindringlichen Tonfall. „Warum sagst du mir, dass dort nichts ist, was ich fürchten müsste, während deine Augen sagen, dass du Angst um mich hast.“ Cassian sah sie einige Momente ausdruckslos an, bevor er anfing zu lächeln.
„Was?“, jetzt verstand sie gar nichts mehr. „Ich hätte nicht gedacht, dass du mich noch überraschen könntest.“ Lea legte ihren Kopf leicht schief, sah ihn einfach nur an, verständnislos. Sein Lächeln verblasste, als etwas gegen die Tür hämmerte.
„Cassian“, flüsterte Lea mit Angst in der Stimme. Dann geschah etwas Außergewöhnliches. Blaues Licht umfloss seinen Körper und breitete sich in dem kleinen Raum aus. Gebannt sah Lea zu und fühlte ein eigenartiges Kribbeln in der Magengegend. Alle Geräusche verstummten und auch Lea ergriff eine eigenartige Ruhe.
„Wer war diese Frau“, fragte sie in die Stille hinein. Mit Schmerz in den Augen, sah sie der alte Mann an, wieder wurde Lea sich bewusst, um wie viele Jahre der Mann in den letzten paar Tagen gealtert war.
„Ich werde dir meine Geschichte erzählen, weil dies wahrscheinlich die letzte Gelegenheit dafür sein wird.“ Lea sah ihn entsetzt, aber keinesfalls überrascht an. Cassian lächelte schmerzlich. „Es begann an einem Tag im Winter...“

...Ich hatte wirklich alles versucht, aber ich kam zu spät. Meine ganze Familie war ausgelöscht und nur Leandriis war noch übrig gewesen. Sie war so anders gewesen. Am schlimmsten waren ihre Augen. So kalt, so gefühllos. Sie war meine große Liebe gewesen und etwas für mich Unbegreifliches hatte sie einfach zerstört und geradezu ausgelöscht. Mit ihr hatte ich meine Vergangenheit verloren, meine Zukunft und mein Leben. Trotz alldem bin ich ihr gefolgt, all die Jahren, nur noch mit dem Ziel, sie irgendwie zu retten, zu erlösen. Ich konnte nicht glauben, was sie all jenen Menschen antat, denen sie begegnete. Dieses Mädchen war nicht mehr meine geliebte Leandriis gewesen, sondern ein Ungeheuer. Ich konnte damals nicht anders empfinden, für mich war sie ein Ungeheuer. So ging das viele Jahre hindurch und ich merkte, das in mir ebenfalls das Dunkle stärker wurde. Noch konnte ich es unterdrücken und in den Tiefen meiner Seele gefangen halten, aber es rüttelte mit jeden Tag mehr an den Gitter seines Gefängnisses. Dann kam der Tag, an dem sich alles ändern sollte. Wir hatten uns in einer gottverlassenen Gegend wiedergefunden. Nur Wald, eisige Kälte und Schnee begleitete unseren Weg.
An jenem Morgen hockte sie in den Trümmern einer Ruine und starrte in die Luft...


Hier unterbrach sich Cassian. Stets ungeweint gebliebene Tränen schimmerten nun in seinen Augen und ein großer Kloß saß ihm im Hals.
„Schon gut“, beruhigend legte Lea ihre Hand auf seinen Arm. „Den Teil der Geschichte kenne ich schon.“ Cassian sah sie verwundert an, dann blitzte Verständnis in seinen alten Augen auf. „Dein Traum...“ Lea nickte nur.
Sie schwiegen, lange.
„Was geschah danach?“, Leas Stimme war sanft, aber bestimmend. Der alte Mann sah sie an, unendlich müde. Als er weitersprach klang seine Stimme brüchig.

Nach diesem Tag zog ich durch die Ferne. Mein Herz war zerrissen und es gab keinen Tag an dem ich nicht daran gedacht hätte. Daran gedacht hätte, mir mein Leben zu nehmen. Aber ich konnte es nicht. Etwas hinderte mich daran. Etwas Uraltes. Etwas, das Leandriis in mir erweckt hatte. Lange, bevor sie starb. Ich entdeckte, das es mehrere wie mich gab. Menschen, in denen die Dunkelheit wohnte, sie aber kontrollieren konnten, so wie ich. Aber es gab auch Menschen wie Leandriis, die nicht in der Lage waren, ihren Vampyr zu bändigen. Gerade sie waren daran schuld, dass Horrorgeschichten die Menschen in den Bann schlugen und uns so sehr in Verruf brachten. Die Menschen hassten uns für das, was jene Unglücklichen taten und versuchten uns, wann immer es in ihrer Macht stand, zu jagen und zu töten. Wir, die die Bestie kontrollieren konnten, wurden immer weniger, während die anderen ihre Macht weiter ausbreiteten.
Ich versuchte, mich immer aus diesem Leben rauszuhalten. Aber nicht immer war es leicht. Ich habe versucht, wie ein Mensch zu leben, unter Menschen. Eine Weile ging es gut, aber irgendwann beging ich immer einen einzigen kleinen Fehler und schon musste ich wieder fliehen und mir ein neues Leben suchen. Viele Jahre, viele Jahrhunderte, habe ich mein Leben auf diese Weise verbracht, verschwendet, bis ich diese Waldhütte hier gefunden habe.
Ihre Bewohnerin war eine alte, aber sehr nette Frau. Sie hat mich damals einfach so aufgenommen, ohne zu fragen, ohne nachzuhaken. Trotzdem schien sie alles von mir zu wissen und hat mir auf ihre Art gezeigt mit mir selbst umzugehen. Ich habe gelernt, meinen Vampyr einzusperren und zu verdrängen. Kurze Zeit später starb die Frau, vererbte mir ihre Hütte und überließ mir eine Aufgabe...


„...Diese Aufgabe warst du, Leandriis.“ „Ich“, Lea sah überrascht auf und blickte in Cassians müden Augen. „Ja mein Mädchen, du, aber mehr kann ich dir auch nicht sagen. Ich habe dich gefunden und habe dich auf den rechten Weg geleitet, dich beschützt, so gut ich es konnte und ich habe dich die Dinge gelehrt, die ich dir beibringen konnte, mehr kann ich nicht tun.“
Es knackte und knirschte laut. Lea blickte sich erschrocken um. Cassian keuchte auf. Das blaue Licht wurde schwächer. Der Lärm nahm zu.
„Flieh Lea, flieh.“ Entsetzen stieg in seine graue Augen. „Aber...“ „Nein Lea, hör mir zu. Du musst fliehen. Renn, renne um dein Leben. Ich halte sie auf, zumindest für kurze Zeit. Und jetzt renn, kümmere dich nicht um mich. RENN“, das letzte Wort hatte er geschrieen und nach einigen weiteren Sekunden des Zögerns sprang Lea endlich auf und rannte los. An der Tür zögerte sie kurz, aber ein Blick ins Cassians Gesicht sagte ihr, dass sie ihm nicht mehr helfen konnte. Heftig stieß sie die Tür auf und rannte los. Ohne auf die Umgebung zu achten, lief sie über den eisigen Boden. Das gefrorene Laub knirschte unter ihren nackten Füßen. Eisiger Wind fuhr ihr durch die Haare. Desto weiter sie lief, umso leiser wurden die Geräusche, die ihr folgten. Trotzdem hielt sie in ihrer Flucht nicht inne. Angst und Panik trieben sie immer weiter. Ihr war kalt, eisig kalt. Vor ihrem Mund gefror ihr Atem zu einer weiß schimmernden Wolke. Vor Schmerz keuchte sie auf, als sich ein niedrig hängender Ast in ihren Haaren verfing. Mit einem Ruck riss sie sich los, kam kurz ins Schwanken und lief weiter.
Dann hörte sie sie. Die wütendenden Stimmen. Die energischen und entschlossenen Schritte. Sie konnte das Öl der Fackeln geradezu riechen. Zitternd hockte sie sich hinter einen Busch. Versuchte vollkommen still zu sein. Eine ihrer dunkelbraunen Haarsträhnen kitzelte sie im Gesicht.
„Verdammt“, knurrte jemand ungehalten. Lea duckte sich noch tiefer und kauerte sich auf dem Boden zusammen. Ihr war kalt und sie wusste nicht, was sie nun tun sollte. Sie zuckte zusammen, als hinter ihr Stimmegewirr erklang. Gehetzt sah sie sich um, konnte jedoch keinen Fluchtweg finden.
„Lea. Oh Gott, Lea, du bist es wirklich.“ Hinter ihr knackten trockene Äste und sie spürte wie jemand eine Hand auf ihre Schulter legte. Sichtlich erschrocken zuckte Lea zusammen und versuchte sich noch kleiner zu machen.
„Lea, wir dachten alle du wärst gestorben, als euer Haus abgefackelt ist.“ Lea wusste nicht was sie tun sollte. „Hey Mädchen, was ist los?“ „Lass sie in Ruhe“, mischte sich eine andere, ruppige Stimme ein. „Sie steht mit Sicherheit unter Schock, lass sie einfach in Ruhe.“ Der andere erwiderte nichts, aber Lea konnte ihn knurren hören. Er packte sie an den Schultern und hob sie hoch. Lea dachte noch daran, sich zu wehren, aber ihr fehlte die Kraft. Nach und nach verfiel sie in einen leichten Dämmerschlaf und versank schließlich im Tiefschlaf.
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Re: Leandriis, die Wölfin

Beitragvon viivi » Do 1. Jan 2009, 21:27

Kapitel 6 - Tänzer im Schnee

„Sie schläft, also verlasst bitte mein Haus.“ Lea wurde von lautem Stimmegewirr geweckt. „Aber sie ist nicht normal. Sie hätte tot sein müssen, wie die anderen auch. Verbrannt in ihrem eigenen Zuhause. Verbrannt, wie die anderen. Wie hat sie es geschafft zu entkommen? Wie, verdammt noch mal, hat sie es bis in den Wald geschafft?“ „Psst, nicht so laut, du Trottel. Oder willst du, dass sie aufwacht.“ Mehr konnte Lea nicht hören, denn die Stimmen entfernten sich weiter von ihr. Vorsichtig drehte sie den Kopf und öffnete widerwillig die Augen. Ihr war schlecht und hinter ihren Schläfen pochte es unerträglich. Leise stöhnend vor Schmerz schloss sie die Augen.
Erst als Schritte auf der Treppe laut wurden, blickte sie auf. Eine blonde, schlanke Frau trat ein.
„Lea“, rief sie verwundert aus. „Du bist ja wach.“ Lächelnd kam sie auf die Drak zu, aber Lea zuckte instinktiv zurück. Irgendetwas machte ihr Angst. Sie konnte nicht sagen, was es war, aber etwas stimmte mit dieser Frau nicht.
„Lea, was ist los?“ Lea erwiderte nichts. In ihr kämpfte alles dagegen an, die Frau noch näher an sich heran zu lassen. Alles in ihr schrie danach zu fliehen, aber Lea zwang sich, sitzen zu bleiben. Zwang sich, ihren Atem zu kontrollieren und abzuwarten. Natürlich war der Frau das kurze Zurückzucken nicht entgangen, aber sie ignorierte es einfach.
„Lea, schön das du wieder unter uns weilst. Wir hatten schon befürchtet, dass du wie...wie deine Familie... in... in eurem Haus... umgekommen wärst“, es bereitete der Frau erhebliche Mühe, Lea dies zusagen. Lea erwiderte nichts, starrte die blonde Frau einfach nur an.
„Lea, was... was ist los?“, fragte diese besorgt. Die Drak schüttelte nur den Kopf. Wich weiter zurück. Stieß mit den Rücken an die Wand. Panik kroch lauernd in ihr hoch. Krampfhaft versuchte Lea, sie herunterzuschlucken, aber die Attacken wurden immer heftiger. Sie fing an zu schreien. Schrie sich die Kehle wund. Schlug um sich. Kratzte und biss diejenigen, die sich ihr nähern wollten. Lea hatte keine Kontrolle mehr über ihr Tun und wehrte sich mit allem, was ihr zur Verfügung stand. Entsetzt wichen die Beobachter der Szene zurück und musterten dieses scheinbar völlig verrückte Mädchen, welches sich selbst die Arme blutig kratzte. Dann, urplötzlich, war es vorbei. Lea lag zitternd mit geschlossenen Augen in ihrem Bett und atmete schwer.
„Lea?“, die blonde Frau trat auf die Drak zu. Leandriis schlug die grünen Augen auf, sie glänzten fiebrig. Erschrocken machte sie einen Satz auf sie zu und fühlte ihre Stirn. Sie glühte nicht nur, sie schien in Flammen zu stehen. „Du hast Fieber“, stellte sie überflüssigerweise fest und drückte Lea zurück ins Bett. Vorsichtig wickelte sie das Mädchen in Decken und wusch ihr mit kaltem Wasser den Schweiß von der Stirn. Nachdenklich betrachtete sie das Mädchen. Ciros Worte klangen noch in ihrem Ohr: „Sie ist nicht normal.“ „Wieso bist du hier? Hat deine Sippe nicht schon genug Schaden angerichtet? Warum haben sie dich nur hier her gebracht?“ Elayne stand mit einem weiteren Blick zu Lea auf und verließ leise den Raum.

Lea erwachte im Dunkeln. Sie erwachte nicht wirklich, aber es kam dem doch schon sehr nahe. Nebel waberte über den Boden und eisige Kälte ließ sie zittern. Nur mit einem weißen Nachthemd bekleidet stand sie mitten in einem Wald. Hastig fuhr sie herum, als trockene Zweige hinter ihrem Rücken im Dickicht knackten. Ein kleines Mädchen trat aus dem Schatten heraus.
„Saroyan.“ Lea hatte sie sofort erkannt. Selbst in dem hiesigen Dämmerlicht konnte sie das unvergleichliche Wesen des kleinen Mädchens ausmachen. Ein Lächeln lag auf Saroyans Gesicht und ihre strahlend blauen Augen sahen sie zärtlich an.
„Leandriis, meine Süße. Du hast es also geschafft, Gott sei dank.“ „Was bist du, Saroyan?“, das war nicht die Frage die Lea stellten wollte, aber sie kam einfach aus ihren Mund gepurzelt und war nicht mehr rückgängig zu machen. Saroyans Augen veränderten sich. Sie wurden hart und kalt. Nur einen winzigen Moment lang, aber lange genug, dass es Lea nicht verborgen bleiben konnte. Das Lächeln kehrte augenblicklich in ihre Augen und in ihr Gesicht zurück. Lea wich einige Schritte zurück und musterte Saroyan abwartend.
„Lea“, Saroyan trat näher an die Drak heran. „Lea, was ist los? Hab ich dich erschreckt?“ Sie stand jetzt so nahe, dass Lea Saroyans Atem auf ihrer Haut spüren konnte. „Was, wer bist du?“, wiederholte sie leise, aber ausdrücklich ihre Frage. Saroyan lächelte noch immer, aber Lea konnte die Falschheit spüren, die von dieser Geste ausging.
„Saroyan, bitte antworte mir.“ Lea hatte die unsichtbare Grenze zwischen ihnen durchbrochen, eine Grenze, von der es kein zurück mehr gab. Alles in ihr drängte nach einer Antwort, einer Antwort, die sie hören musste, um zu verstehen. Saroyans Lippen zuckten nahezu unmerklich, aber Lea konnte die Unruhe geradezu riechen, die das Mädchen ergriffen hatte, wenn sie auch äußerlich völlig ruhig wirkte.
„Ich versuche dich auf den rechten Weg zu lenken“, Saroyans Stimme klang rau und zum ersten Mal konnte man den Hauch des Alter in ihr wahrnehmen. „Man hat mich zu dir geschickt, um über dich zu wachen.“ „Warum?“, dieses eine Wort war es, welches die unsichtbare Mauer um Saroyan herum zerstörte, in ihre eigene, heilige Welt eindrang. Nun erstarb auch Saroyans Lächeln, in ihren Augen blitzen kurz die unterschiedlichsten Emotionen auf. Wut. Hass. Angst. Erst dann, bekam sie ihre Gefühle wieder unter Kontrolle.
„Saroyan“, unbewusst setze Lea eine ihrer Drak-Fähigkeiten ein und zwang das blonde Mädchen dazu ihr die Wahrheit zu sagen.
„Ich habe einst einen großen Verrat begangen und meine Strafe besteht darin, dich zu beschützen. Du bist meine Strafe, du musst überleben, um mich zu erlösen. Dir ist es vorherbestimmt, das Tal der Wölfe und mit ihnen die letzten Wölfe, die letzen deiner Art, zu retten.“ Lea sah ihr bei diesen Worten direkt in die tiefblauen Augen, erkannte die Wahrheit in ihnen und wollte gleichzeitig an ihren Worten zweifeln.
„Du Leandriis bist der Schlüssel. Niemand außer dir ist in der Lage die letzen Wesen, die dir gleichen, zu retten.“ Lea wartet, dass Saroyan weitersprach, aber das Mädchen schwieg. „Warum und vor allem wie?“, mehr konnte Lea in diesem Moment nicht fragen, aber es drückte alles aus, was in der Drak vorging. Saroyan schüttelte den Kopf, sanft nur, aber bestimmt. Sie verblasste langsam und verschwamm in ihren Konturen.
„Saroyan, nein, bleib hier.“ Saroyan lächelte, doch sie verblasst weiter und verschwand schließlich völlig. Lea blieb alleine im Wald zurück. Der Wind spielte mit ihren Haaren und das weiße Nachthemd flatterte um ihren zierlichen Körper. Unablässig starrte sie in die Luft, doch Saroyan tauchte nicht wieder auf. Irgendwo in der Ferne heulte ein Wolf.


Drei Tage lang kämpfte Lea mit dem Fieber. Elayne wich in dieser Zeit nur selten von ihrer Seite.
Als Lea erwachte, war es Nacht. Ihr Bett war zerwühlt und die Luft stank nach altem, kaltem Schweiß. Ein dumpfes Pochen hinter ihren Schläfen erinnerte sie an das überstandene Fieber. Für einen weiteren Moment schloss sie wieder die Augen und genoss die Stille. Doch lange hielt diese Stille nicht an, viel zu früh drangen Geräusche auf sie ein und zerstörten ihre Idylle von Ruhe und Frieden. Stimmen, die sie nicht verstehen konnte. Hastige Schritte, die das Haus mit Leben erfüllten und irgendwo, ganz gedämpft, das Lachen eines Kindes. Dieses Lachen war es schließlich, das Leandriis aus ihren Gedanken riss. Es hatte etwas Magisches an sich; etwas, dass Lea schmerzlich an etwas erinnerte, auch wenn sie nicht wusste, an was. Mit einem Ruck öffnete sie die Augen und setzte sich auf. Sie war alleine im Zimmer und erst nach einigen Augenblicken fand sie, was sie suchte. Auf einem Stuhl lagen fein säuberlich neue Sachen. Schnell schlüpfte sie in die Klamotten, die ihr wie angegossen passten, streifte die eng anliegenden Stiefel über und band sich die langen, braunen Haare mit einem schmalen Lederband zurück. Trotz der Geräusche, die überall im Haus zu hören waren, begegnete Lea nicht einem Menschen, als sie durch die Flure streifte. Aus einem der großen, luftigen Räume strömte ihr ein wohlduftender Geruch entgegen und ihre Füße brachten sie ganz ohne ihr Zutun in eben diesen Raum. Hier schien sie endlich das Leben gefunden zu haben, welches dem Haus innewohnte, denn das Zimmer war voller Menschen. Lautlos stand sie in der Tür und betrachtete das rege Treiben. Es mischten sich hier alle Alterstufen und Lea wollte sich gerade zurück ziehen, als Elayne auf sie aufmerksam wurde.
„Lea“, mit einem strahlenden Lächeln kam sie auf das Mädchen zu. „Schön, dass du noch zu uns gefunden hast. Komm, setzt dich doch, dass Frühstück ist auch gleich fertig.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, hakte sich Elayne bei Lea ein und zog sie zu dem vollbesetzten Tisch, welcher den Großteil der Küche einnahm. Schnell rutschte die Menschenmasse zusammen und schuf so einen Platz, der gerade so groß war, dass sich Lea hinsetzen konnte. Vor ihr wurde rasch ein mit Suppe gefüllter Teller hingestellt und jemand drückte ihr eine dampfende Tasse in die Hände. Randvoll mit heißer Schokolade gefüllt, duftete sie herrlich, und auch die Suppe ließ Lea das Wasser im Munde zusammen laufen. Ohne auf die anderen zu achten, verschlang sie die Suppe und schaffte auch einen zweiten Teller voll. Elayne beobachtete ihren Schützling mit einem Lächeln auf den Lippen, aber ihr Blick war nicht ganz so liebevoll, wie sie es vorzugeben versuchte.
„Du bist also die kleine Lea.“ Lea hob überraschte den Kopf, als jemand sie ansprach. „Die kleine Lea, die uns so große Sorgen gemacht hatte“, sprach der Jemand einfach weiter. Lea, die nicht wusste, was sie davon halten sollte, betrachtete ihren Gegenüber. Es war ein junger Mann, nein, noch ein Jugendlicher von vielleicht sechszehn, siebzehn Jahren. Er hatte verwuschelte, braune Haare und sanfte, braune Augen, die sie verschmitzt anlächelten.
„Hi, ich bin Kian.“ Lächelnd streckte er ihr seine Hand entgegen. Lea blickte ihn eine Weile an. Nahm seinen Geruch wahr, so süß, so seltsam vertraut. Zögerlich und schüchtern lächelte Lea schließlich und erwiderte seine Geste.
„Lass ich von ihm nicht einschüchtern, der ist immer so“, mischte sich nun ein kleines, vielleicht fünf oder sechs Jahre altes Mädchen ein. Leas Blick wanderte nur von Kian zu ihr. Sie war... anders. Lea konnte nicht sagen was an ihr sie verwirrte, aber irgendetwas schien nicht zu stimmen.
„Wie bin ich denn?“, Kians leise, warme Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Immer musst du alle ärgern und immer musst dich über alles und jeden lustig machen.“ Das Mädchen hatte sich in Rage geredet und in ihrer Stimme klang ein Unterton von Wut mit. „Ach, das kannst du jetzt nicht so sagen“, spöttisch betrachtete Kian sie und wandte sich dann an Lea. „Hör nicht auf sie, eigentlich bin ich ein ganz netter Kerl.“ Bevor das Mädchen etwas erwidern konnte, mischte sich Elayne ein. „Bitte, lasst sie einfach beide in Ruhe und du“, sie sprach jetzt direkt mit Lea, „solltest lieber wieder zurück ins Bett gehen. Du brauchst Ruhe, und keine Widerrede“, ergänzte sie noch schnell, obwohl Lea nicht einmal den Versuch unternahm zu widersprechen. „Kian, kannst du ihr bitte ihr Zimmer zeigen.“ „Ja klar, komm.“ Er fasst nach Leas Hand und zog sie auf die Beine. Überrascht, aber ohne Widerstand ließ sie sich von Kian aus der Küche führen.
„Weißt du, kleines Mädchen, du hast die letzten Tage in Elaynes Zimmer geschlafen, jetzt zeige ich dir dein eigenes Zimmer, zumindest solange du hier bleibst.“ Kian blickte sie nicht an und als sie seinem Blick folgte, entdeckte sie ein kleines, flauschiges Etwas am Ende einer Treppe.
„Das“, Kian deutete auf die Katze, „ist im Übrigen Jenna unsere Katze, aber dieses Vieh mag mich nicht besonders“, den letzten Teil hatte er besonders betont und warf der Katze einen mürrischen Blick zu.
„Komm“, er zog Lea die Treppe hoch. Leas Zimmer lag unter dem Dach, direkt neben Kians, wie sie später erfuhr. „Also, sag einfach Bescheid, wenn du was brauchst oder so...“ Er grinste breit und verließ den Raum. Lea sah sich um, auch wenn es nicht viel zu sehen gab. Die schrägen Decken sorgten dafür, dass man in den Ecken den Kopf einziehen musste, um sich nicht den Kopf zu stoßen. Ansonsten bot das Zimmer nicht viel. Seufzend ließ sie sich auf das Bett sinken und war nach einigen Momenten eingeschlafen.

Leise strich der Wind durchs Zimmer, als Lea mitten in der Nacht erwachte. Nur der Mond erhellte das Zimmer. Vor dem Fenster schwebten sachte Schneeflocken herab. Doch da war noch mehr. Etwas das sie rief. In ihre Decke eingewickelt trat sie zu dem großen Fenster in der Dachschräge. Zunächst sah sie nichts, war einfach nur geblendet von der Helligkeit der Schneedecke. Erst nach und nach gewöhnten sich ihre Augen daran und sie konnte sehen, wie sich etwas durch den dichten Schnee bewegte. Lea versuchte, es genauer zu erkennen, aber es gelang ihr nicht. Kurz, ganz kurz nur, konnte sie einen braunen Wuschelkopf im Schneetreiben ausmachen. Doch bereits im nächsten Moment war er schon wieder verschwunden. Verwundert rieb sie sich die Augen, aber nichts geschah, in der weißen Schneelandschaft blieb alles still und reglos. Dann sah sie sie. Die frischen Wolfsspuren im Schnee. Nicht lange, aber doch so lange, dass Lea sich sicher war, sich nicht zu täuschen. Kurze Zeit später waren die Spuren bereits wieder unter Neuschnee vergraben.
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