Re: Leandriis, die Wölfin
von viivi » Do 1. Jan 2009, 21:27
Kapitel 6 - Tänzer im Schnee
„Sie schläft, also verlasst bitte mein Haus.“ Lea wurde von lautem Stimmegewirr geweckt. „Aber sie ist nicht normal. Sie hätte tot sein müssen, wie die anderen auch. Verbrannt in ihrem eigenen Zuhause. Verbrannt, wie die anderen. Wie hat sie es geschafft zu entkommen? Wie, verdammt noch mal, hat sie es bis in den Wald geschafft?“ „Psst, nicht so laut, du Trottel. Oder willst du, dass sie aufwacht.“ Mehr konnte Lea nicht hören, denn die Stimmen entfernten sich weiter von ihr. Vorsichtig drehte sie den Kopf und öffnete widerwillig die Augen. Ihr war schlecht und hinter ihren Schläfen pochte es unerträglich. Leise stöhnend vor Schmerz schloss sie die Augen.
Erst als Schritte auf der Treppe laut wurden, blickte sie auf. Eine blonde, schlanke Frau trat ein.
„Lea“, rief sie verwundert aus. „Du bist ja wach.“ Lächelnd kam sie auf die Drak zu, aber Lea zuckte instinktiv zurück. Irgendetwas machte ihr Angst. Sie konnte nicht sagen, was es war, aber etwas stimmte mit dieser Frau nicht.
„Lea, was ist los?“ Lea erwiderte nichts. In ihr kämpfte alles dagegen an, die Frau noch näher an sich heran zu lassen. Alles in ihr schrie danach zu fliehen, aber Lea zwang sich, sitzen zu bleiben. Zwang sich, ihren Atem zu kontrollieren und abzuwarten. Natürlich war der Frau das kurze Zurückzucken nicht entgangen, aber sie ignorierte es einfach.
„Lea, schön das du wieder unter uns weilst. Wir hatten schon befürchtet, dass du wie...wie deine Familie... in... in eurem Haus... umgekommen wärst“, es bereitete der Frau erhebliche Mühe, Lea dies zusagen. Lea erwiderte nichts, starrte die blonde Frau einfach nur an.
„Lea, was... was ist los?“, fragte diese besorgt. Die Drak schüttelte nur den Kopf. Wich weiter zurück. Stieß mit den Rücken an die Wand. Panik kroch lauernd in ihr hoch. Krampfhaft versuchte Lea, sie herunterzuschlucken, aber die Attacken wurden immer heftiger. Sie fing an zu schreien. Schrie sich die Kehle wund. Schlug um sich. Kratzte und biss diejenigen, die sich ihr nähern wollten. Lea hatte keine Kontrolle mehr über ihr Tun und wehrte sich mit allem, was ihr zur Verfügung stand. Entsetzt wichen die Beobachter der Szene zurück und musterten dieses scheinbar völlig verrückte Mädchen, welches sich selbst die Arme blutig kratzte. Dann, urplötzlich, war es vorbei. Lea lag zitternd mit geschlossenen Augen in ihrem Bett und atmete schwer.
„Lea?“, die blonde Frau trat auf die Drak zu. Leandriis schlug die grünen Augen auf, sie glänzten fiebrig. Erschrocken machte sie einen Satz auf sie zu und fühlte ihre Stirn. Sie glühte nicht nur, sie schien in Flammen zu stehen. „Du hast Fieber“, stellte sie überflüssigerweise fest und drückte Lea zurück ins Bett. Vorsichtig wickelte sie das Mädchen in Decken und wusch ihr mit kaltem Wasser den Schweiß von der Stirn. Nachdenklich betrachtete sie das Mädchen. Ciros Worte klangen noch in ihrem Ohr: „Sie ist nicht normal.“ „Wieso bist du hier? Hat deine Sippe nicht schon genug Schaden angerichtet? Warum haben sie dich nur hier her gebracht?“ Elayne stand mit einem weiteren Blick zu Lea auf und verließ leise den Raum.
Lea erwachte im Dunkeln. Sie erwachte nicht wirklich, aber es kam dem doch schon sehr nahe. Nebel waberte über den Boden und eisige Kälte ließ sie zittern. Nur mit einem weißen Nachthemd bekleidet stand sie mitten in einem Wald. Hastig fuhr sie herum, als trockene Zweige hinter ihrem Rücken im Dickicht knackten. Ein kleines Mädchen trat aus dem Schatten heraus.
„Saroyan.“ Lea hatte sie sofort erkannt. Selbst in dem hiesigen Dämmerlicht konnte sie das unvergleichliche Wesen des kleinen Mädchens ausmachen. Ein Lächeln lag auf Saroyans Gesicht und ihre strahlend blauen Augen sahen sie zärtlich an.
„Leandriis, meine Süße. Du hast es also geschafft, Gott sei dank.“ „Was bist du, Saroyan?“, das war nicht die Frage die Lea stellten wollte, aber sie kam einfach aus ihren Mund gepurzelt und war nicht mehr rückgängig zu machen. Saroyans Augen veränderten sich. Sie wurden hart und kalt. Nur einen winzigen Moment lang, aber lange genug, dass es Lea nicht verborgen bleiben konnte. Das Lächeln kehrte augenblicklich in ihre Augen und in ihr Gesicht zurück. Lea wich einige Schritte zurück und musterte Saroyan abwartend.
„Lea“, Saroyan trat näher an die Drak heran. „Lea, was ist los? Hab ich dich erschreckt?“ Sie stand jetzt so nahe, dass Lea Saroyans Atem auf ihrer Haut spüren konnte. „Was, wer bist du?“, wiederholte sie leise, aber ausdrücklich ihre Frage. Saroyan lächelte noch immer, aber Lea konnte die Falschheit spüren, die von dieser Geste ausging.
„Saroyan, bitte antworte mir.“ Lea hatte die unsichtbare Grenze zwischen ihnen durchbrochen, eine Grenze, von der es kein zurück mehr gab. Alles in ihr drängte nach einer Antwort, einer Antwort, die sie hören musste, um zu verstehen. Saroyans Lippen zuckten nahezu unmerklich, aber Lea konnte die Unruhe geradezu riechen, die das Mädchen ergriffen hatte, wenn sie auch äußerlich völlig ruhig wirkte.
„Ich versuche dich auf den rechten Weg zu lenken“, Saroyans Stimme klang rau und zum ersten Mal konnte man den Hauch des Alter in ihr wahrnehmen. „Man hat mich zu dir geschickt, um über dich zu wachen.“ „Warum?“, dieses eine Wort war es, welches die unsichtbare Mauer um Saroyan herum zerstörte, in ihre eigene, heilige Welt eindrang. Nun erstarb auch Saroyans Lächeln, in ihren Augen blitzen kurz die unterschiedlichsten Emotionen auf. Wut. Hass. Angst. Erst dann, bekam sie ihre Gefühle wieder unter Kontrolle.
„Saroyan“, unbewusst setze Lea eine ihrer Drak-Fähigkeiten ein und zwang das blonde Mädchen dazu ihr die Wahrheit zu sagen.
„Ich habe einst einen großen Verrat begangen und meine Strafe besteht darin, dich zu beschützen. Du bist meine Strafe, du musst überleben, um mich zu erlösen. Dir ist es vorherbestimmt, das Tal der Wölfe und mit ihnen die letzten Wölfe, die letzen deiner Art, zu retten.“ Lea sah ihr bei diesen Worten direkt in die tiefblauen Augen, erkannte die Wahrheit in ihnen und wollte gleichzeitig an ihren Worten zweifeln.
„Du Leandriis bist der Schlüssel. Niemand außer dir ist in der Lage die letzen Wesen, die dir gleichen, zu retten.“ Lea wartet, dass Saroyan weitersprach, aber das Mädchen schwieg. „Warum und vor allem wie?“, mehr konnte Lea in diesem Moment nicht fragen, aber es drückte alles aus, was in der Drak vorging. Saroyan schüttelte den Kopf, sanft nur, aber bestimmt. Sie verblasste langsam und verschwamm in ihren Konturen.
„Saroyan, nein, bleib hier.“ Saroyan lächelte, doch sie verblasst weiter und verschwand schließlich völlig. Lea blieb alleine im Wald zurück. Der Wind spielte mit ihren Haaren und das weiße Nachthemd flatterte um ihren zierlichen Körper. Unablässig starrte sie in die Luft, doch Saroyan tauchte nicht wieder auf. Irgendwo in der Ferne heulte ein Wolf.
Drei Tage lang kämpfte Lea mit dem Fieber. Elayne wich in dieser Zeit nur selten von ihrer Seite.
Als Lea erwachte, war es Nacht. Ihr Bett war zerwühlt und die Luft stank nach altem, kaltem Schweiß. Ein dumpfes Pochen hinter ihren Schläfen erinnerte sie an das überstandene Fieber. Für einen weiteren Moment schloss sie wieder die Augen und genoss die Stille. Doch lange hielt diese Stille nicht an, viel zu früh drangen Geräusche auf sie ein und zerstörten ihre Idylle von Ruhe und Frieden. Stimmen, die sie nicht verstehen konnte. Hastige Schritte, die das Haus mit Leben erfüllten und irgendwo, ganz gedämpft, das Lachen eines Kindes. Dieses Lachen war es schließlich, das Leandriis aus ihren Gedanken riss. Es hatte etwas Magisches an sich; etwas, dass Lea schmerzlich an etwas erinnerte, auch wenn sie nicht wusste, an was. Mit einem Ruck öffnete sie die Augen und setzte sich auf. Sie war alleine im Zimmer und erst nach einigen Augenblicken fand sie, was sie suchte. Auf einem Stuhl lagen fein säuberlich neue Sachen. Schnell schlüpfte sie in die Klamotten, die ihr wie angegossen passten, streifte die eng anliegenden Stiefel über und band sich die langen, braunen Haare mit einem schmalen Lederband zurück. Trotz der Geräusche, die überall im Haus zu hören waren, begegnete Lea nicht einem Menschen, als sie durch die Flure streifte. Aus einem der großen, luftigen Räume strömte ihr ein wohlduftender Geruch entgegen und ihre Füße brachten sie ganz ohne ihr Zutun in eben diesen Raum. Hier schien sie endlich das Leben gefunden zu haben, welches dem Haus innewohnte, denn das Zimmer war voller Menschen. Lautlos stand sie in der Tür und betrachtete das rege Treiben. Es mischten sich hier alle Alterstufen und Lea wollte sich gerade zurück ziehen, als Elayne auf sie aufmerksam wurde.
„Lea“, mit einem strahlenden Lächeln kam sie auf das Mädchen zu. „Schön, dass du noch zu uns gefunden hast. Komm, setzt dich doch, dass Frühstück ist auch gleich fertig.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, hakte sich Elayne bei Lea ein und zog sie zu dem vollbesetzten Tisch, welcher den Großteil der Küche einnahm. Schnell rutschte die Menschenmasse zusammen und schuf so einen Platz, der gerade so groß war, dass sich Lea hinsetzen konnte. Vor ihr wurde rasch ein mit Suppe gefüllter Teller hingestellt und jemand drückte ihr eine dampfende Tasse in die Hände. Randvoll mit heißer Schokolade gefüllt, duftete sie herrlich, und auch die Suppe ließ Lea das Wasser im Munde zusammen laufen. Ohne auf die anderen zu achten, verschlang sie die Suppe und schaffte auch einen zweiten Teller voll. Elayne beobachtete ihren Schützling mit einem Lächeln auf den Lippen, aber ihr Blick war nicht ganz so liebevoll, wie sie es vorzugeben versuchte.
„Du bist also die kleine Lea.“ Lea hob überraschte den Kopf, als jemand sie ansprach. „Die kleine Lea, die uns so große Sorgen gemacht hatte“, sprach der Jemand einfach weiter. Lea, die nicht wusste, was sie davon halten sollte, betrachtete ihren Gegenüber. Es war ein junger Mann, nein, noch ein Jugendlicher von vielleicht sechszehn, siebzehn Jahren. Er hatte verwuschelte, braune Haare und sanfte, braune Augen, die sie verschmitzt anlächelten.
„Hi, ich bin Kian.“ Lächelnd streckte er ihr seine Hand entgegen. Lea blickte ihn eine Weile an. Nahm seinen Geruch wahr, so süß, so seltsam vertraut. Zögerlich und schüchtern lächelte Lea schließlich und erwiderte seine Geste.
„Lass ich von ihm nicht einschüchtern, der ist immer so“, mischte sich nun ein kleines, vielleicht fünf oder sechs Jahre altes Mädchen ein. Leas Blick wanderte nur von Kian zu ihr. Sie war... anders. Lea konnte nicht sagen was an ihr sie verwirrte, aber irgendetwas schien nicht zu stimmen.
„Wie bin ich denn?“, Kians leise, warme Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Immer musst du alle ärgern und immer musst dich über alles und jeden lustig machen.“ Das Mädchen hatte sich in Rage geredet und in ihrer Stimme klang ein Unterton von Wut mit. „Ach, das kannst du jetzt nicht so sagen“, spöttisch betrachtete Kian sie und wandte sich dann an Lea. „Hör nicht auf sie, eigentlich bin ich ein ganz netter Kerl.“ Bevor das Mädchen etwas erwidern konnte, mischte sich Elayne ein. „Bitte, lasst sie einfach beide in Ruhe und du“, sie sprach jetzt direkt mit Lea, „solltest lieber wieder zurück ins Bett gehen. Du brauchst Ruhe, und keine Widerrede“, ergänzte sie noch schnell, obwohl Lea nicht einmal den Versuch unternahm zu widersprechen. „Kian, kannst du ihr bitte ihr Zimmer zeigen.“ „Ja klar, komm.“ Er fasst nach Leas Hand und zog sie auf die Beine. Überrascht, aber ohne Widerstand ließ sie sich von Kian aus der Küche führen.
„Weißt du, kleines Mädchen, du hast die letzten Tage in Elaynes Zimmer geschlafen, jetzt zeige ich dir dein eigenes Zimmer, zumindest solange du hier bleibst.“ Kian blickte sie nicht an und als sie seinem Blick folgte, entdeckte sie ein kleines, flauschiges Etwas am Ende einer Treppe.
„Das“, Kian deutete auf die Katze, „ist im Übrigen Jenna unsere Katze, aber dieses Vieh mag mich nicht besonders“, den letzten Teil hatte er besonders betont und warf der Katze einen mürrischen Blick zu.
„Komm“, er zog Lea die Treppe hoch. Leas Zimmer lag unter dem Dach, direkt neben Kians, wie sie später erfuhr. „Also, sag einfach Bescheid, wenn du was brauchst oder so...“ Er grinste breit und verließ den Raum. Lea sah sich um, auch wenn es nicht viel zu sehen gab. Die schrägen Decken sorgten dafür, dass man in den Ecken den Kopf einziehen musste, um sich nicht den Kopf zu stoßen. Ansonsten bot das Zimmer nicht viel. Seufzend ließ sie sich auf das Bett sinken und war nach einigen Momenten eingeschlafen.
Leise strich der Wind durchs Zimmer, als Lea mitten in der Nacht erwachte. Nur der Mond erhellte das Zimmer. Vor dem Fenster schwebten sachte Schneeflocken herab. Doch da war noch mehr. Etwas das sie rief. In ihre Decke eingewickelt trat sie zu dem großen Fenster in der Dachschräge. Zunächst sah sie nichts, war einfach nur geblendet von der Helligkeit der Schneedecke. Erst nach und nach gewöhnten sich ihre Augen daran und sie konnte sehen, wie sich etwas durch den dichten Schnee bewegte. Lea versuchte, es genauer zu erkennen, aber es gelang ihr nicht. Kurz, ganz kurz nur, konnte sie einen braunen Wuschelkopf im Schneetreiben ausmachen. Doch bereits im nächsten Moment war er schon wieder verschwunden. Verwundert rieb sie sich die Augen, aber nichts geschah, in der weißen Schneelandschaft blieb alles still und reglos. Dann sah sie sie. Die frischen Wolfsspuren im Schnee. Nicht lange, aber doch so lange, dass Lea sich sicher war, sich nicht zu täuschen. Kurze Zeit später waren die Spuren bereits wieder unter Neuschnee vergraben.
Alle Grafiken, Scripte, Texte und Fotos sowie Bilder unterliegen, soweit nicht anders angegeben, meinem Copyright! Sie dürfen ohne meine ausdrückliche Genehmigung weder im Ganzen noch auszugsweise genutzt bzw. kopiert werden. Unauthorisierter Gebrauch und Verstoß gegen das Coypright wird strafrechtlich verfolgt!