Im Schatten der Vergangenheit (2009)




Berührende und zum Teil wahre Geschichten aus dem Leben

Im Schatten der Vergangenheit (2009)

Beitragvon viivi » Di 28. Sep 2010, 17:08

„Du bist nichts wert!“
Das waren die letzen Worte, die sie gehört hatte, als sie gegangen war. Tränen glitzerten in ihren hellgrünen Augen, aber sie gestattete es sich nicht zu weinen. Nicht für ihn, für niemanden, obwohl er ihr alles bedeutete, er, ihr Vater. Ein Vater, der sie vielleicht nie geliebt hatte, der aber nun einmal ihr Vater war, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Noch immer weinte sie nicht, hatte noch nie oft geweint, trotz der Einsamkeit, trotz des Schmerzes. Schon immer war sie alleine gewesen. Ihre Mutter war früh gestorben und ihr Vater hatte sich nie für sie interessiert. Auch in der Schule war sie meistens alleine, obwohl sie hübsch war, mit ihren langen fuchsbraunen Haaren und den grünen Augen. Vielleicht lag es daran, dass sie zu gut war, nie schlechte Noten hatte und ihr Abitur mit einem Durchschnitt von 1,3 beendet hatte. Jetzt, nachdem Abschluss, wollte sie studieren, Psychologie. Ihrem Vater war dies egal, sie konnte so gut sein wie sie wollte, es interessierte ihn nicht. Zu viel Geld habe er für sie bereits ausgegeben, hatte er gewettert, dabei hatte sie vieles selbst bezahlt, hatte nach der Schule gejobbt um Geld zu sparen für ihr Psychologiestudium und ihrem Traum, ihrem Traum von Finnland. Dieser Traum würde nun endlich Wirklichkeit werden, ein Jahr Finnland lag vor ihr, neu beginnen, neu anfangen, vielleicht vergessen. Ihr Vater hatte sie dafür aufs Übelste beschimpft. Er hatte wieder getrunken, dann war es ganz besonders schlimm. In diesen Augenblicken hatte sie regelrecht Angst vor ihm, weil er wie von Sinnen war. Still hatte sie dagesessen und alles über sich ergehen lassen, bis sie irgendwann nicht mehr konnte.
„Es ist mein Leben, nicht das deine. Ich werde gehen und ich werde studieren, ob es dir nun passt oder nicht!
Daraufhin schwieg er zunächst, saß ganz ruhig da, sah sie an. Dann sprang er plötzlich auf, schrie und beschimpfte sie. Sein letzter Satz traf sie am härtesten, obwohl sie ihn bereits schon unzählige Mal gehört hatte, er ihn ihr immer wieder an den Kopf geworfen hatte, aber heute traf er sie mitten ins Herz und ließ es zersplittern.
„Du bist nichts wert!“
Fluchartig verließ sie das Haus und lief ziellos durch die Stadt. Irgendwann begann es zu schneien und weiße Schneeflocken verfingen sich in ihren Haaren. Sie wusste nicht wohin und sie wusste auch nicht weiter. Obwohl sie ihrem Vater nie nahe gestanden hatte, war mit seinen Worten etwas in ihr zerbrochen. Etwas, was nie wieder zusammengefügt werden konnte und sie für immer daran erinnern würde, daran, was er zerstört hatte und sie nie gehabt hatte. Eine unbeschwerte Kindheit, eine Familie, die sie liebte.
Ihr Blick wanderte nach oben, zum Sternenhimmel, noch immer schwebten Schneeflocken der Erde entgegen und schmolzen sanft auf ihrem Gesicht. So viele Tränen wurden heute nacht geweint, so viele Träume vermisste der Himmel, doch sie war nicht alleine, das spürte sie. Ihre Träume hatten sie immer stark gemacht, hatten sie immer wieder durchhalten lassen und doch wird dieser Schmerz sie nie verlassen, das weiß sie.
Ein letztes Mal betritt sie das Haus, indem sie aufgewachsen war und holt ihre Sachen. Nie wieder wird sie zurückkehren, das spürt sie tief in sich.
Ein Geräusch lässt sie herumfahren, in der Tür war eine Gestalt erschienen. Ein Mann, der nicht mehr wie ihr Vater aussieht, mit eingefallenen Gesicht und müden Augen. Eine Weile sehen sich die beiden an, schweigend, und doch redend.
„Es tut mir so leid, Lea“, flüsterte er mit erstickter Stimme. „Ich weiß, dass du mir nicht verzeihen kannst, aber ich liebe dich. Ich....war so ein Idiot. Ich will nur, dass du weißt, dass du hier immer einen Platz haben wirst.“ Ein letzter, um Verzeihung heischender Blick, dann verschwindet er im Schatten des Hauses. Lea sieht ihm nach. Lange, dann endlich laufen die Tränen über ihr Gesicht, endlich kann sie weinen, endlich kann sie anfangen zu verarbeiten, vielleicht sogar ein Stück weit zu vergessen. Dann geht sie, für immer.
Geht ihrem Traum entgegen. Ihrem Traum von einem neuen Leben, das besser sein wird und dieses Leben soll in Finnland beginnen. In der Ruhe und Einsamkeit, die ihr Leben werden sollen und die so anders ist als ihre eigene Einsamkeit.

Lea hat nach ihrem Au-Pair-Jahr in Finnland ein völlig neues Leben begonnen. Sie hatte nach ihrer Rückkehr Psychologie studiert und als beste Absolventin abgeschnitten. Nach einem Auslandssemester in Finnland, hatte sich ihr Entschluss dort zu leben nochmals bestärkt und lebt und arbeitet seitdem in Finnland. Sie ist Mutter zweier kleiner Kinder und lebt mir ihrem Mann in Rovaniemi. Ihren Vater hatte sie nun noch ein weiteres Mal gesehen und auch Deutschland ist für sie Vergangenheit, aber sie stark geworden, noch stärker als früher. Wenn etwas schief geht, schließt sie nur kurz die Augen und atmet tief durch. Denkt an alles, was sie bereits erlebt und durchgestanden hat, das gibt ihr die Kraft neu anzufangen und durchzuhalten. Sie hat ein neues Leben begonnen und doch ihr altes nie vergessen.
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von Anzeige » Di 28. Sep 2010, 17:08

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Re: Im Schatten der Vergangenheit

Beitragvon viivi » Di 28. Sep 2010, 17:08

Hier könnt ihr eure Meinung, Kritiken, Gefühle etc äußern und ausdiskutieren und natürlich auch eure Fragen loswerden. Also haut in die Tasten :mrgreen:
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